Die Fugger: Legende im Graben

Die legendäre Familie stammt aus dem heutigen Landkeis Günzburg


Von Martin Kluger


Kommen die Fugger aus dem „Legoland“? Zum Jubiläumsjahr „650 Jahre Fugger in Augsburg“ wartet der Mittelalterhistoriker Dr. Peter Geffcken mit einer neuen These zur Herkunft der Familie auf. Sein wissenschaftlicher Aufsatz ist demnächst an dieser Stelle zu lesen.

 

Um die reichen Fugger rankt sich manche Legende. Die Abstammung des Webers Hans Fugger, der 1367 aus dem Dorf Graben in die Reichsstadt Augsburg einwanderte und dort mit Fleiß rasch zu Reichtum kam, ist eine davon. Jetzt stellt der Mittelalterhistoriker Dr. Peter Geffcken erneut eine der Legenden um die legendäre Familie infrage. Hans Fugger kam mit großer Sicherheit nicht aus Graben. Quellen aus dem Augsburger Stadtarchiv liefern etliche Indizien dafür, dass der 1367 eingewanderte Stammvater der Fugger aus dem Raum Jettingen-Scheppach (heutiger Landkreis Günzburg) stammt.

 

Die Welser sind sein Spezialgebiet, doch generell kennt sich der Münchener Mediävist Dr. Peter Geffcken in den spätmittelalterlichen Sozialstrukturen Augsburgs – und damit auch in der Frühgeschichte der Fugger – aus wie kaum ein zweiter. Schon 2009, zum Jubiläumsjahr „550 Jahre Jakob Fugger“, hatte der Mittelalterhistoriker durch einen bundesweit beachteten Fund im Haus-, Hof- und Staatsarchiv in Wien belegen können, dass der erst 14-jährige Jakob Fugger bereits 1473 in Venedig das Geschäft erlernte. Bis zu Geffckens Entdeckung galt unumstößlich: Jakob Fugger „der Reiche“ sei Geistlicher in Herrieden gewesen, ehe man ihn nach dem Tod dreier älterer Brüder 1478 in die Firma holte, die er aus dem Stand zur Nummer eins in Europa machte.

 

2017 bereitet Geffcken erneut einer Legende das Ende: Keine Publikation zu den Fuggern verzichtete bisher auf den Hinweis zu deren Herkunft aus dem Dorf Graben auf dem Lechfeld – auch wenn dies in Fachkreisen längst als fragwürdig angesehen wurde. Doch diese Legende hat sich so sehr verfestigt, dass seit 1894 in der Grabener Pfarrkirche St. Ulrich ein aus Holz geschnitztes Epitaph mit dem Brustbild Hans Fuggers auf die Wurzeln der Fugger verweist. In Graben wurde eine Fuggerlinde gepflanzt, ein Fugger-Gedenkstein aufgestellt, bis heute ist das Oberhaupt der Linie Fugger-Babenhausen Ehrenbürger von Graben. Das „sprechende“ Wappen der Kommune zeigt neben einem Spatenblatt das springende Reh, das Wappenbild der um 1500 bankrottgegangenen Fugger „vom Reh“, sowie die Lilie der Fugger „von der Lilie“, der Familie Jakob Fuggers „des Reichen“.

 

Das alles basiert wohl auf einer Mär. Peter Geffcken hat zeitgenössische Quellen im Stadtarchiv Augsburg gesichtet. Sein Fazit: „Für Hans Fugger finden sich keinerlei Belege oder auch nur Indizien, die einen eigenen Bezug zu Graben erkennen lassen.“ Nur beim Schwiegervater Hans Fuggers, dem Augsburger Weber Hans Gevattermann, verraten die Quellen etliche Kontakte zu Graben. Geffcken ist sich sicher: „Eine genauere Beschäftigung mit Hans Fuggers verwandtschaftlichem Umfeld sowie mit seinem Besitzerwerb in Scheppach und Burtenbach in den Jahren 1403 und 1405 verweisen vielmehr auf Verbindungen in den heutigen Landkreis Günzburg.“

 

Die Legende der Herkunft aus Graben resultiert aus einigen Zeilen im „Geheimen Ehrenbuch der Fugger“. Der Augsburger Maler Jörg Breu d.J. hat diese prachtvolle Familienchronik von Hand bebildert. Mit ihrem Inhalt beauftragte Hans Jakob Fugger (ihm ist das Fuggerdenkmal auf dem Augsburger Fuggerplatz gewidmet) 1543 den Schuhmachermeister, Ratsherrn und Chronisten Clemens Jäger. Was vier oder gar fünf Generationen zuvor geschehen war, lag im Dunkeln: Jäger behalf sich mit dem Hörensagen. Seine Chronik sagt lapidar: „Dann sovvil von alten Leuten erkundigt hat mögen werden / haben die antzaigt, das die allzeit ghört / das die Fugger von Graben komen / von daher bürtig seien.“ Was übersetzt bedeutet: Ältere Familienmitglieder wussten von frühem Grundbesitz in Graben. Bei den 28 Tagwerk Wiesen, die das „Geheime Ehrenbuch der Fugger“ erwähnt, handelte es sich um 1474 erstmals beurkundete Weideflächen, die sich hälftig in den Linien "vom Reh" und "von der Lilie" vererbten, ehe Jakob Fugger nach dem Bankrott seiner weniger glücklichen Verwandten 1512 alle Wiesen in seinen Besitz brachte. Dieses Land – so Geffcken – stammte wohl aus mütterlichem Besitz oder wurde später angekauft. Weiden nahe der Stadt waren bei Augsburgern eine beliebte Geldanlage: Aus Ungarn oder anderen Teilen Europas herangetriebene „Ochsen“ wurden dort „zwischengelagert“, ehe man die Rinder schlachtete. Einen Hinweis auf die Herkunft einer Familie gibt ein solcher Besitz nicht.

 

Zeitgenössische Schriftquellen – Steuerbücher, Gerichtsdokumente, Leibgedingbriefe – und die Interpretation der so nachvollziehbaren verwandtschaftlichen Beziehungen schließen, so Geffcken, jeden Bezug Hans Fuggers zu Graben aus. Zwar fehlt für den ersten Augsburger Fugger weiter ein Beleg, der vor 1367 zurückreicht. Doch für seine mütterliche Verwandtschaft gilt das nicht. Der Münchener Historiker hat zahlreiche Quellen auswerten können und ist sich sicher: Durch seine Mutter verfügte Hans Fugger bei seiner Ankunft in Augsburg im Jahr 1367 längst über ein verwandtschaftliches Umfeld. Geffcken: „Es gibt ganz zwingende Indizien, die auf die Zuwanderung der mütterlichen Verwandten aus Jettingen hinweisen“ – und damit womöglich auch auf die mittelschwäbische Herkunft seines Vaters. Doch der Mittelalterhistoriker will sich mit dieser These nicht zufrieden geben, seine Forschungen gehen weiter. Angesichts der reichen Quellenlage erwartet Geffcken Dokumente, die schon vor 1350 auf Hans Fugger und seine Verwandten schließen lassen.

Der Mittelalterhistoriker hält es zudem für möglich, dass Hans Fugger – in abhängiger Stellung – schon vor 1367 in Augsburg gelebt hat.