Seit 1895: Strom aus Wasserkraft

In der unteren Radaumühle in Göggingen wurde früh Strom erzeugt

Von Martin Kluger

Das erste Strom erzeugende Wasserkraftwerk Augsburgs ging 1902 auf der Wolfzahnau in Betrieb. Das erste Strom erzeugende Wasserkraftwerk im heutigen Stadtgebiet war das auf der Wolfzahnau allerdings nicht. Im 1972 eingemeindeten (noch kurz zuvor – 1969 – zur Stadt erhobenen) Augsburger Stadtteil Göggingen lieferte die untere Radaumühle nämlich schon seit 1895 Strom. Dass dieses erste Wasserkraftwerk für die Augsburger Bewerbung um die Aufnahme ihrer historischen Wasserwirtschaft in die Liste des UNESCO-Welterbes keine Rolle spielt, hat einen einfachen Grund: Außer einer Schwelle in der an dieser Stelle kanalisierten Singold – ein paar Meter südlich der Radaustraße – erinnert heute nichts mehr an das frühe Elektrizitätswerk des findigen Mühlen- und Sägewerksbesitzers Alois Egger(1).

 

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Alois und Anna Egger waren die Besitzer der unteren Radaumühle im heutigen Augsburger Stadtteil Göggingen.
Fotos: Archiv Karl Egger

 

Die Geschichte des Gögginger Wasserkraftwerks erinnert jedoch daran, dass ausgerechnet in der Industriestadt Augsburg die Erzeugung von Strom aus Wasserkraft vergleichsweise spät begann: Dort förderte die Stadtverwaltung den Bau von Strom erzeugenden Wasserkraftwerken mitnichten – im Gegenteil. Zwar wurde das Hotel „Drei Mohren“, das dem technikaffinen Großindustriellen August Riedinger gehörte, schon 1882 mit elektrischem Licht beleuchtet. Der Strom wurde mithilfe von Dampfmaschinen erzeugt(2). Und bereits 1886 ließ Riedinger zwischen seiner Maschinenfabrik am Senkelbach und dem Hauptbahnhof eine Stromfernleitung installieren. Im selben Jahr ließ übrigens auch Friedrich Hessing, der Gründer der „Orthopädischen Heilanstalt“ in Göggingen, das dortige Kurhaustheater mit Licht aus Glühlampen erstrahlen(3). Doch die Augsburger Stadtverwaltung setzte auf die Herstellung von Gas und auf ein stadteigenes Gasnetz, mit dem sie ab 1907 Geld – nach einer längst vereinbarten Übernahme des Gaswerks von einem Privatunternehmen – verdienen wollte. Vor diesem Hintergrund lehnte der Magistrat noch 1896 ein geplantes Wasserkraftwerk der Maschinenbaufabrik Augsburg „als puren Schwindel“(4) ab.

Im Industriedorf Göggingen, wo sich schon 1861 die Zwirnerei und Nähfadenfabrik Göggingen AG (ZNFG) angesiedelt hatte, um die Wasserkraft der Singold mittels mechanischer Kraftübertragung zu nutzen (das heutige Turbinenhaus über dem Singoldkanal ist ein Relikt des Fabrikgebäudes von 1880)(5), stand man Strom aus Wasserkraft aufgeschlossener gegenüber. Dort meldete das „Amts- und Anzeigeblatt für Göggingen und Umgebung“ am 10. Oktober 1895: „Schon seit geraumer Zeit hat Herr Mahl- und Sägewerkbesitzer A. Egger seine Gebäudlichkeiten mit elektrischer Beleuchtung ausgestattet, sowie die Wirthschaften „zur Radau“ und „zur Linde“ mit diesem Lichte versehen […].“(6) Der Zeitungsartikel kündigte an, dass die „Abgabe von Strom an Private“(7) sowie eine „eventuelle Straßenbeleuchtung“(8) geplant seien. Die damalige technische Ausstattung des Kraftwerks wurde nicht beschrieben. Erwähnt wurde dagegen ein Vertrag über das neu zu erbauende Maschinenhaus für die elektrische Zentralstation, wo zwei Turbinen mit je 36 PS sowie – als Reserveantrieb – eine Dampfmaschine mit 80 PS aufgestellt werden sollten(9).

 

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Eine Postkarte aus der Zeit um 1900 zeigt die untere Radaumühle an der Singold. Das dortige Wasserkraftwerk belieferte auch die benachbarte „Gastwirtschaft zur Radau“ mit Strom. 
Foto: Sammlung Häußler

 

In der Rubrik „Tagesneuigkeiten“ des „Amts- und Anzeigeblatts für Göggingen und Umgebung“ finden sich in den folgenden Monaten und Jahren zwischen Meldungen über Feueralarm, Kindsmord, Jerusalempilger und Bienenzuchtvereinsversammlung immer wieder auch Nachrichten über das neu installierte Wasserkraftwerk Alois Eggers an der Singold. „Heute, am 9. April [1896] wurden die Maschinen und Apparate des neuen Gögginger Elektrizitätswerkes zum ersten Male in Betrieb gesetzt.“(10) Als Leistung wird gemeldet: „Die Wechselstrommaschine leistet 40.000 Watt bei 2.000 Volt Spannung.“(11) Des Weiteren wird ausgeführt, dass in neu errichteten Transformatorenhäuschen die Gebrauchsspannung auf 120 Volt gesenkt werde, und dass die Totalleistung der Maschinen und Transformatoren dazu ausreiche, rund 800 Glühlampen zum Strahlen zu bringen(12).

 

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Das Wasserkraftwerk der Asbern-Maschinenfabrik über der Singold, an die heute nur noch eine Schwelle im kanalisierten Flussbett erinnert.
Foto: Archiv Karl Egger

 

Am 7. Mai 1896 erschien in der Gögginger Zeitung eine dreispaltige Anzeige mit der Überschrift „Electricitätswerk Göggingen.“(13) Darunter stand: „Das Werk befindet sich seit 1. Mai in dauerndem Betrieb. Auskünfte und Kosten=Anschläge werden unentgeltlich ertheilt bei A. Egger, untere Mühle, Göggingen, und Wölcke & Moritz, Augsburg, Hermannstraße 6.“(14) Diese Augsburger Firma hatte die Gögginger Anlage und das dortige Leitungsnetz installiert. Am selben Tag enthielt das Blatt diese Meldung: „Die elektrische Beleuchtung ist nunmehr soweit installirt, daß seit 1. Mai ca. 400 Lampen in Privatbesitz brennen und weitere Einrichtungen gegenwärtig vollzogen werden.“(15) Der Zeitungsbeitrag verkündete auch, dass zunächst zwischen 6 Uhr abends und 6 Uhr morgens Strom zur Beleuchtung abgegeben werden würde. Später sollte die Stromlieferung mit Ausnahme einer einstündigen Mittagspause ganztags – sogar zusätzlich für die Straßenbeleuchtung bis zur Endhaltestelle der Trambahn – erfolgen. Am 16. Juni 1898 stand unter den „Tagesneuigkeiten“ an erster Stelle, dass das Elektrizitätswerk Alois Eggers die Werkstatt eines Wagnermeisters Zoller mit dem Strom für einen zwei PS starken Elektromotor belieferte, wobei laut Zeitungsbericht bereits zuvor ein halbes Jahr lang die Pumpe einer Wasserleitung eines anderen Anwesens in Göggingen störungsfrei gelaufen war. Demselben Beitrag ist zu entnehmen, dass die Augsburger Firma Wölcke und Moritz das alleinige Installations- und Lieferungsrecht für alle Anlagen besaß, die vom Gögginger Wasserkraftwerk mit Strom versorgt wurden(16).

 

Das Wasserkraftwerk des Ehepaars Alois und Anna Egger wurde laut Gesellschaftsvertrag erst am 24. Dezember 1898 offiziell als „Elektrizitätswerk Göggingen und Pfersee GmbH“ – und zwar mit Sitz in München – gegründet. Seit 7. Juli 1902 hatte diese Gesellschaft ihren Sitz in Göggingen. Das „Elektrizitätswerk Göggingen und Pfersee GmbH“ blieb am Ende allerdings Episode: Schon 1903/04 hatte die 1903 gegründete Lech-Elektrizitätswerke Aktien-Gesellschaft (die heutige Lechwerke AG) mit Sitz in Augsburg, die Betreiberin des seit Oktober 1901 Strom erzeugenden Wasserkraftwerks in Gersthofen(17), das Versorgungsgebiet Göggingen und Pfersee übernommen(18). Für Göggingen endete damit – durchaus gegen den heftigen Widerstand der als „Lichtconsumenten“ bezeichneten Stromabnehmer – das kurze Kapitel dezentraler Energieversorgung, die erst in jüngerer Zeit wieder politisch gewollt ist und deshalb mittels Einspeisevergütung finanziell rentabel wird.

 

Am 11. August 1904 steigerte die Münchner Firma L.M. Adler oHG die untere Radaumühle ein. Das Gögginger Anwesen ging bis 1921 in rascher Folge durch mehr als ein halbes Dutzend Hände, ehe es am 3. Mai 1921 zum Standort der Asbern Maschinenfabrik Aktiengesellschaft (ab 1933 Asbern Maschinenfabrik K.G.) wurde. Diese Fabrik wurde 1972 geschlossen, 1978 abgebrochen und das Gelände mit einer Wohnanlage bebaut. Das Foto auf einer Postkarte aus der Sammlung des Augsburger Stadthistorikers Franz Häußler („Augsburg-Göggingen. Partie bei der Radau“) belegt das Mühlengebäude in der Zeit um 1900. Weitere Fotografien zeigen die Asbern-Fabrik und das dortige Maschinenhaus über der Singold kurz vor dem Abbruch.

 

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Die 1972 geschlossene Asbern-Maschinenfabrik kurz vor ihrem Abriss im Jahr 1978.
Foto: Archiv Karl Egger

 

Dass die Wasserkraft der Singold weiter zur Eigenversorgung der Fabrik genutzt wurde, als die flächendeckende Stromabgabe längst von der Lechwerke AG übernommen worden war, dokumentiert nicht nur die Aufnahme des mit einem zierlichen Sprenggiebel gestalteten kleinen Kraftwerksgebäudes über der Singold, sondern auch ein Lageplan der Werkstätten (undatiert), eine technische Zeichnung der Turbinenanlage aus dem Jahr 1927 (mit Genehmigungsvermerk von 1931) sowie zuletzt ein wasserrechtlicher Bescheid der Stadt Augsburg von 1978. Warum das Strom erzeugende Wasserkraftwerk – anders als bei zahlreichen weiteren Augsburger Industriearealen – nicht als letztes Relikt einer verschwundenen Fabrik erhalten blieb, ist nicht bekannt. Aus heutiger Sicht bedeutete der Abbruch nicht nur den bedauerlichen Verlust des wohl frühesten Augsburger Technik- und Architekturdenkmals Strom produzierender Wasserkraftnutzung, sondern angesichts des heutigen Stellenwerts von Strom aus Wasserkraft sicher auch eine finanzielle Fehlentscheidung. Doch damals galt eben noch der Strom aus Atomkraftwerken als das Energieversorgungsmodell der Zukunft.
 

 

 

 

(1) Das Material zur Unteren Mühle und ihrer Geschichte stellte der in Königsbrunn bei Augsburg lebende Karl Egger im Juli 2017 zur Verfügung. Der Gögginger Mühl- und Sägewerksbesitzer Alois Egger war sein Urgroßvater.

 

(2) Vgl. Häußler, Franz: Wasserkraft in Augsburg, Augsburg 2015, S. 58

 
(3) Vgl. ebenda, S. 59–61

 

(4) Vgl. Ganser, Karl: Industriekultur in Augsburg, Augsburg 2010, S. 209, Zitat aus einem Beitrag von Franz Häußler in der Augsburger Allgemeinen, Nr. 118/2008

 

(5) Vgl. Ganser, Karl: Industriekultur in Augsburg, S. 171–173

 

Kluger, Martin: Augsburgs historische Wasserwirtschaft. Der Weg zum UNESCO-Welterbe, Augsburg 2015, S. 139–142 und S. 179

 

(6) o.A.: Amts- und Anzeigeblatt für Göggingen und Umgebung, 10.10.1895, 8. Jg., Nr. 41

 
(7) Ebenda

 

(8) Ebenda

 

(9) Vgl. ebenda

 

(10) o.A.: Amts- und Anzeigeblatt für Göggingen und Umgebung, 09.04.1896, 9. Jg., Nr. 15

 

(11) Ebenda

 
(12) Vgl. ebenda

 
(13) Inserat im Amts- und Anzeigeblatt für Göggingen und Umgebung, 07.05.1896, 9. Jg., Nr. 19

 
(14) Ebenda

 

(15) Ebenda

 

(16) Vgl. o.A.: Amts- und Anzeigeblatt für Göggingen und Umgebung, 16.06.1898, 11. Jg., Nr. 24

 

(17) Vgl. Kluger, Martin: Augsburgs historische Wasserwirtschaft. Der Weg zum UNESCO-Welterbe, Augsburg 2015, S. 398 f.

 

(18) Vgl. Holly, Katrin: Aufbau der öffentlichen Stromversorgung ab 1901. Die Rolle der Wasserkraftwerke in Gersthofen, Langweid und Meitingen bei der Elektrifizierung Augsburgs und des bayerischen Schwaben, in: Augsburg und die Wasserwirtschaft. Studien zur Nominierung für das UNESCO-Welterbe im internationalen Vergleich, Augsburg 2017, S. 184